Muttertagsgeschichte 2025

Muttertagsgeschichte 2025


Wenn das Leben im Chaos beginnt.

Foto: © Elias Halabi

Bei Enas Zaloum (28) setzten die Wehen in der 25. Schwangerschaftswoche ein. Dass ihr Sohn Mohammed heute munter durch sein Elternhaus in Hebron krabbelt, hat er der Hartnäckigkeit seiner Mutter und seines Vaters Odai (29) zu verdanken: Sie glaubten trotz kritischem Zustand an ihr Frühchen und nahmen alle Hürden, damit Mohammed im Caritas Baby Hospital behandelt wird.

Ein Porträt aus Bethlehem von Andrea Krogmann.

Ob in den Armen seiner Eltern oder beim Küsschen von Schwester Remin: Mohammed Zaloum strahlt vergnügt. Nichts lässt beim Anblick des 15-Monate alten Lockenkopfs aus Hebron auf seinen schwierigen Start ins Leben schliessen. Der kleine Palästinenser wurde mit 650 Gramm in der 25. Schwangerschaftswoche geboren, ohne Überlebenschancen, wie die Ärzte in einem Hebroner Spital beschieden. Doch Mutter Enas gab ihr Kind und die Hoffnung nicht auf. «Heute krabbelt er durch die Wohnung, nichts ist mehr vor ihm sicher.» Stolz und Erleichterung schwingen in ihrer Stimme.

Rückblick auf den 2. November 2023. Der Tag hat sich in die Erinnerung der Zaloums gebrannt. Nach einer gesunden Tochter, zwei Fehlgeburten und im sechsten Monat einer schwierigen Schwangerschaft setzen bei Enas Blutungen ein. Die 28-Jährige spürt, dass etwas nicht in Ordnung ist. Ihr Gynäkologe sieht Anzeichen für eine verfrühte Geburt – zu diesem Zeitpunkt der Schwangerschaft eine sichere Fehlgeburt, so seine Diagnose. Eine Kortisonspritze soll die Lungenreifung des Ungeborenen unterstützen. Dann schickt er Enas nach Hause.

 

Schwieriger Zugang zum Kinderspital
Enas beginnt zu lesen: «Über Frühgeburten, Lebenserwartungen und Geschichten wie meine, das gab mir Hoffnung! Ich hatte das Gefühl, dass mein Sohn leben wird.» Die Schmerzen der 28-Jährigen werden stärker, so stark, dass sie ins örtliche Spital in Hebron geht, wo die Geburt einsetzt. Enas behält recht: Das Baby kommt schnell - und lebt. «Mohammed atmete und zeigte normale Anzeichen eines Neugeborenen» sagt die Mutter und drückt das Kleinkind in ihrem Arm.

Mit dem ersten Atemzug beginnt eine Odyssee. Das Spital verfügt über keinen Brutkasten. «Die Ärzte sagten mir: es gibt keinen Grund, ihn zu verlegen, da er eh sterben wird", erinnert sich Vater Odai. Auf Drängen der Eltern suchen die Ärzte doch nach verfügbaren Brutkästen. Doch die umliegenden Spitäler weigern sich, den Kleinen aufzunehmen, aus Angst vor einem weiteren Toten in der Statistik. Das Caritas Baby Hospital in Bethlehem, das die Ärzte als Spezialklink als nächstes anfragen, ist voll belegt. Die Eltern kämpfen einen Wettlauf mit der Zeit.

Plötzlich gibt es Hoffnung: In Ramallah wird ein Brutkasten gefunden. Aber wie soll man da hinfahren? Seit knapp dreieinhalb Wochen herrscht Ausnahmezustand. Wegen der politischen Lage gibt es zusätzliche israelische Strassensperren, die selbst den Transport von Schwerkranken erheblich erschweren. «Das medizinische Team weigerte sich, Mohammed nach Ramallah zu bringen», sagt Enas. In diesem Moment fühlte sich Enas hilflos. Ob sie ihren Sohn je lebend in den Armen halten wird?

Während Mohammed im Kinderspital behandelt wurde, wich Enas kaum von seiner Seite. Die Mutterabteilung machte diese Nähe möglich.

Foto: © Elias Halabi

Glücksfall Caritas Baby Hospital
Was das Todesurteil für ihren Sohn hätte werden können, entpuppt sich für die Zaloums als Glücksfall: In der Zwischenzeit ist in Bethlehem ein Brutkasten freigeworden. «Aus dem Caritas Baby Hospital kam kurz darauf der Anruf, dass wir Mohammed bringen können.» Enas bleibt zur Nachsorge in Hebron, Odai macht sich mit dem Krankenwagen auf. Für Mohammeds Überlebenschancen zählt jede Sekunde. Die Soldaten an einem der Checkpoints nehmen darauf keine Rücksicht. Erst nach einer halben Stunde dürfen sie durch. Zu Fuss trägt Odai sein Baby an den Soldaten vorbei, zusammen mit der mobilen Sauerstoffversorgung, mit der Mohammed während des Transports beatmet wird. Ein zweiter Krankenwagen nimmt sie auf der anderen Seite des Checkpoints in Empfang. «Die Strecke war unglaublich hart, aber Gott machte sie leicht und gab mir den Glauben, dass Mohammed überlebt», sagt Odai.

Mohammeds Zustand ist kritisch, als er in Bethlehem ankommt. Auf der Intensivstation wird er künstlich beatmet. Enas, die sich in Hebron noch von der Geburt erholen muss, informiert sich telefonisch bei Neonatologin Dr. Amal Fawadleh über die Situation. Bis heute hat sie die Nummer der Ärztin und deren Versprechen, sich jederzeit melden zu dürfen. Vier Tage später sieht Enas ihren Sohn zum ersten Mal. Sie ist überwältigt von ihren Gefühlen, als Mohammed mit beiden Händen nach ihren Fingern greift. «Er hat gespürt, dass ich da bin.» Auch jetzt umklammert der Junge ihre Finger.

Unmittelbar nach der Geburt wurde Mohammed vom Kinderspital auf die Intensivstation für Frühgeborene verlegt.

Foto: © Elias Halabi

143 Tage lang wurde Mohammed im einzigen Kinderspital in Palästina behandelt.

Foto: © Elias Halabi

Inzwischen lebt Mohammed ohne Einschränkungen wieder bei seiner Familie in der Nähe von Hebron.

Foto: © Andrea Krogmann

Engagierte Mutter
Im Kinderspital beeindruckt die positive Frau das Team. «Ich habe immer weitergelesen. Ich wollte verstehen, wie ich stillen kann, wenn mein Baby im Brutkasten liegt.» Enas bringt die Muttermilch, die sie in sterile Spezialbeutel abgepumpt hat. Und möchte mit Mohammed die Känguru-Methode ausprobieren, bei der Frühgeborene Haut an Haut an ihre Mutter gelegt werden, um ihnen Nähe zu geben. Es ist eine bewährte Methode, welche die Überlebenschancen erhöht und der Entwicklung hilft.

Mohammed übersteht die ersten zehn Tage, die für ein Frühgeborenes wie ihn besonders kritisch sind. Die Ärzte behandeln einen Herzfehler, bei dem sich ein Blutgefäss nach der Geburt nicht von alleine schliesst. Schrittweise kann die Beatmung runtergefahren werden, bis er selbstständig atmet. Um seine Entwicklung zu unterstützen, stimuliert ein Ernährungstherapeut mit physiotherapeutischen Übungen die Mund- und Gesichtsmuskulatur, bis Mohammed gestillt werden kann.

Enas und Odai nehmen so oft es geht den Weg auf sich, um bei ihm zu sein. Einen Teil der Zeit kann Enas in der spitaleigenen Mütterabteilung schlafen. Geweint habe sie in all der Zeit ein einziges Mal: «Als wir zur geplanten Entlassung Mohammeds nach Bethlehem kamen und er wegen einer Infektion noch eine Woche bleiben musste.»

Fachkundige Begleitung auch nach der Entlassung
143 Tage später, am 24. März 2024 darf Mohammed nach Hause. 3’460 Gramm wiegt er jetzt. Bis er aufholt, werden bis zu zwei Jahre vergehen. «Das war das Wichtigste, was sie mir im Spital beigebracht haben: Mohammed nicht nach seinem kalendarischen Geburtstag zu behandeln, sondern sein Alter ab dem eigentlichen Geburtstermin zu rechnen.» Follow-ups mit den Spezialisten im Kinderspital, Körperübungen, Physiotherapie und Massagen gehören zu den Hilfen, die das Spital der Familie mitgegeben hat, um Entwicklungsverzögerungen zu vermeiden.

«Kindern wie Mohammed eine echte Lebenschance zu geben, ist der Grund, warum wir arbeiten», sagt Dr. Amal Fawadleh. Auf sie lassen die Zaloums nichts kommen. Nicht nur bei Mohammed, dessen Immunsystem immer noch Aufholbedarf hat und der seit seiner Geburt wegen verschiedener Virenerkrankungen acht weitere Male im Spital behandelt wurde, vertrauen sie auf die Kompetenz in Bethlehem. «Mit dem nächsten Kind werde ich direkt ins Caritas Baby Hospital gehen», sagt Enas.

Foto: © Andrea Krogmann

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