
Eine unsichtbare Krise
Seit Dezember berät die Psychologin Yara Sous Familien und Kinder bei psychischen Problemen. (oben)
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Die psychische Gesundheit von Kindern im Westjordanland ist ein oft übersehenes Problem. Gewalt, Unsicherheit und mangelnde Unterstützung belasten Kinder in besonderem Masse. Das Caritas Baby Hospital reagiert auf den Anstieg dieser Krankheitsbilder mit der Einführung eines psychologischen Beratungsdienstes. (ras)
Laut Weltbank war die psychische Gesundheit von Kindern im Westjordanland bereits vor dem Ausbruch des Gaza-Krieges alarmierend. Militärische Besatzung, Gewalt im häuslichen Umfeld und Perspektivlosigkeit führten dazu, dass viele Kinder psychisch stark belastet waren. Eine Weltbank-Studie zeigt, dass schon zuvor bis zu 50 % der Kinder an einer posttraumatischen Belastungsstörung litten.
Psychische Erkrankungen haben dabei eine direkte Auswirkung auf den Alltag: Viele Kinder leiden laut Weltbank unter Konzentrationsproblemen, die ihre schulischen Leistungen beeinträchtigen. Dadurch stieg die Zahl der Schulabbrüche und eine fehlende Ausbildung der Jugendlichen erhöhte das Bildungsrisiko im Westjordanland. Trotz des hohen Bedarfs blieb psychologische Betreuung lückenhaft und für viele Familien kaum zugänglich.
Psychische Belastung steigt
Seit Ausbruch des Gaza-Krieges hat sich die Situation laut Ärzte ohne Grenzen (MSF) dramatisch verschärft. Die Gewalt nahm zu, und immer mehr Kinder erlebten traumatische Ereignisse. MSF berichtet, dass auch zunehmend jüngere Kinder – einige erst drei bis fünf Jahre alt –psychologische Hilfe benötigen würden. Viele Kinder zeigen laut MSF Symptome wie Bettnässen, Stottern oder anhaltende Angstzustände. Die ständige Unsicherheit, verbunden mit der eingeschränkten Versorgungslage, verstärkt den psychischen Stress. Während die Zahl der betroffenen Kinder steigt, fehlen vielerorts weiterhin geeignete Therapiemöglichkeiten.
Das Caritas Baby Hospital reagiert
Das Kinderspital hat im vergangenen Dezember eine spezialisierte psychologische Beratungsstelle eröffnet. In dieser Einrichtung werden Kinder umfassend psychologisch untersucht, um ihr emotionales Wohlbefinden, ihre kognitiven Fähigkeiten und mögliche Verhaltensauffälligkeiten zu beurteilen. Dabei kommen strukturierte Interviews, standardisierte Diagnostik und klinische Beobachtungen zum Einsatz. Ziel ist es, Angststörungen, Traumata und Entwicklungsprobleme frühzeitig zu erkennen und zu behandeln. Dadurch lernen die betroffenen Kinder mittels Spieltherapie neue Verhaltensstrategien, um ihren Ängsten zu begegnen. Auch die Eltern werden in die Gespräche und Therapie mit eingebunden. «Unsere Beratungsstelle bietet den Kindern einen sicheren Raum, in dem sie ihre Erfahrungen verarbeiten und ihren Heilungsprozess beginnen können», erklärt Yara Sous, Entwicklungspsychologin und Leiterin der kinderpsychologischen Beratungsstelle im Caritas Baby Hospital. Die neuen Dienste werden kontinuierlich evaluiert und in enger Zusammenarbeit mit lokalen Partnern weiterentwickelt. Denn «ohne gezielte Unterstützung », so Yara Sous, «drohen einer ganzen Generation langfristige Folgen». Organisationen wie das Caritas Baby Hospital leisten wertvolle Hilfe, doch der Bedarf ist enorm. Ein Ausbau psychologischer Angebote ist dringend erforderlich, um betroffenen Kindern eine Perspektive zu eröffnen, wie sie trotz ihrer schwierigen Lebenslage lernen können, besser mit ihren Ängsten umzugehen. •
Verwendete Literatur: «Mental Health in the West Bank and Gaza», Weltbank (2022); «Occupied Lives», Médecins Sans Frontières (2024).