
Die Engel von Bethlehem
Beitrag und Bild: © Inge Günther
Ihr drohte bereits der Verfall. Bis die UNESCO die Geburtskirche in Bethlehem 2012 zum Weltkulturerbe ernannte – eine Premiere für Palästina. Die Renovation gelang. Sogar ein verlorener Engel kam zum Vorschein.
Den Kopf einziehen muss man noch immer beim Eintritt in eine der ältesten Kirchen der Welt. Kaiser Konstantin liess sie im vierten Jahrhundert über der Felsgrotte errichten, in der Jesus zur Welt kam. Kreuzfahrer mauerten 800 Jahre später das Hauptportal zu. Seitdem gewährt nur eine niedrige Pforte Einlass. Aber drinnen lohnt sich der Blick empor. Wie vom Himmel hoch funkeln über freigelegten Wandmosaiken biblischer Szenen mannsgrosse Engelsgestalten.
Von ihrer Pracht ahnte kaum jemand etwas, als 2013 das vom palästinensischen Präsidenten Mahmud Abbas eingesetzte Restaurationskomitee die italienische Traditionsfirma Piacenti mit der Runderneuerung dieses heiligen Gemäuers der Christenheit beauftragte. Es war höchste Zeit. Im Winter tropfte gar Regen rein, weil die drei Hausherren der Basilika – die Griechisch-Orthodoxen, Franziskaner und Armenier – sich nicht über kleinste bauliche Veränderungen hatten einigen können.
Zunächst mussten in Kooperation mit Handwerkern aus Bethlehem das Dach saniert, Fensterglas mit Klimafiltern eingebaut und marodes Gebälk ausgetauscht werden, bevor es an die Rettung der Kunstschätze ging. Zumindest sechs der ursprünglich zwölf Engelsfiguren waren noch schemenhaft unter dunkler Patina erkennbar. Fehlende Puzzleteilchen und das Goldblatt in ihrem Heiligenschein liessen sich nachgestalten. Nur, wo steckte ein siebter Engel, den ein Mönch wegen eines fehlenden Kopfstücks vor 200 Jahren verputzt haben sollte? Dank Thermokamera und Spürsinn befreite das Piacenti-Team ihn schliesslich aus dickem Gips.
Jetzt strahlen die Engel wieder, ihre Arme ausgestreckt hin zur unterirdischen, mit einem Silberstern ausgelegten Geburtsgrotte. Die letzten Gerüste der rund 20 Millionen Euro teuren, teils palästinensisch, teils international finanzierten Kirchenrestauration sind gefallen. Und Bethlehem hofft nach den kargen Corona-Jahren auf die Rückkehr der Touristen und Pilger.